AKTOM

 

Markus Schaller lebt und arbeitet in Berlin. Seit 1993 stellt er international seine Arbeiten in Gallerien, Museen und Biennalen der Öffentlichkeit vor. In seinem Werk kontrastiert er die immense Kraft des Umformens von Metallobjekten mit der intimen Praxis des Prägens. Auf der Oberfläche seiner großen, oft auch geschmiedeten Skulpturen verbergen sich filigrane Gedichte und werkspezifische Texte, die Buchstabe für Buchstabe von Hand eingeprägt werden. In seinen neueren Werken verlässt er seinen charakteristischen Stil, um dreidimensionale Wandobjekte aus geprägtem Aluminium zu schaffen. Durch das Einpressen präziser geometrischer Formmuster in eine zweidimensionale Aluminiumplatte entfaltet sich eine dreidimensionale Plastizität, die sich aus der Wechselwirkung von Druck und Widerstand entfaltet. Diese geometrische Markierungen dienen als Ausgangspunkt für einen Dialog um grundlegende Formen in der Natur.

 

In der hier erstmals gezeigten Videoarbeit „Aktom“ stellt Schaller sich die Frage einer „Vor-Existenz“ von Grundformen. In seiner Schmiede wird das Eisen in der durch ein Luftgebläse zum Glühen gebrachten Steinkohle erwärmt. Durch Hitze geraten die Atome der Eisen- Kohlenstoffverbindung des eingelegten Stahls in Bewegung und verändern dessen Aggregatzustand. Hierbei werden Mengen von organischem Material zu Rauch verdampft und anorganisches Material als Staub durch die Luft gewirbelt. In „Aktom“ wird eine ähnliche Versuchsanordnung mit hochauflösenden Videobildern gefilmt. Grafit- Pulver, Kohlenstoff in Reinform, wird hier vom Gebläse der Schmiedeesse durch die Luft gewirbelt. Das Hexagonale Kristallsystem des Grafits reflektiert sich im Licht und wird sichtbar. Wie „kosmischer Staub“ wirbelt der Kohlenstoff umher und erzeugt Bilder, die der Phantasie des Betrachters entspringen und wird so zu einer kreierenden Handschrift.

 

Martin Heidegger spricht in seinem Werk „Permenides“ davon, dass die Handschrift, die „schreibende Hand“, mit dem Sein kommuniziert. Sie ist eine lesende Hand, der sich Sinn und Wahrheit durch die Kommunikation mit der verborgenen, verschlossenen Erde erschließt.

Diese „Verschlossenheit“ steht diametral zur „Transparenz“ des digitalen Mediums, deren Gangart es ist, alle Information für jeden zugänglich vorzulegen (Byung-Chul Han). Die Schreibmaschine, bei der nur die Fingerspitzen zum Einsatz kommen, ist ein erster Zeuge vom Wandel des Bezuges des Seins zum Wesen des Menschen: Vom, der terranen Ordnung unterworfenem Subjekt, zum sich entwerfenden, digitalen Projekt. (Flusser) Die Schreibmaschine „verhüllt den Wesensbereich der Hand“ (Heidegger). Das „Digitale baut das Reale ab und totalisiert das Imaginäre“. Es zeichnet eine permanente Gegenwart und Präsenz aus: Unterschiedliche Zustände des Gleichen.“ (Byung-Chul Han)

 

Laut Flusser sind wir durch das Digitale zu Projekten von alternativen Welten geworden. Er gründet eine neue Anthropologie, die „im Menschen nur Staub“ sieht. Im digitalen Punkteuniversum lösen sich alle festen Größen auf. Wir sind bloße „digitale Kompilationen aus schwirrenden Punktemöglichkeiten“ und verlassen im Zuge des „Iconic turn“ endgültig die terrale Ordnung. Das Digitale Medium gleicht einem Meer, „in das sich „keine festen Linien eingraben lassen“. Es ist eine „Operation ohne Charakter, in seiner ursprünglichen Bedeutung vom griechischem Wort „diarassein“, das einritzen, einprägen heißt“. Es ist eine transparente Leere.

 

Hier schließt sich der Kreis zur Videoarbeit „Aktom“ von Markus Schaller. Der aus der Konstellation des Schmiedefeuers aufgewirbelte Grafit, spiegelt sich in vielfältigsten Facetten und Farben. Seltsame Verbindungen von wechselseitigem Einwirken lassen sich vermuten. Keine Formation ist wie die andere. In der künstlich verlangsamten Bewegung verschwindet ihr Ursprung. Jedes Geschehen entsteht im Augenblick, der sich so mit seiner Entstehung verbindet. Eine mögliche Bedeutung der Bilder entwerfen nur wir selbst durch unsere Aufmerksamkeit und Phantasie. „Actomes“ sind „atomare Entscheidungen“, die im Augenblick neue Wahrheiten konstruieren. Das erinnert uns daran, dass nur wir es sind, die unmittelbar dafür verantwortlich sind, welche Wirklichkeit wir im Spiel mit anderen (m) erschaffen.

 

 

Berlin 2018

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